Aberglaube im Theater – Warum darf man bestimmte Dinge nicht tun?
von Nicole Dietrich
Das Theater ist eines der gedankenreichsten und gesellschaftskritischen Orte des Lebens. Es sind Orte, die schon seit einer Ewigkeit Raum für die unterschiedlichsten Menschen und ihre Geschichten geben.
So ist es auch nur logisch, dass sich über all die Jahre viele Traditionen und Bräuche angesammelt haben. So auch der Aberglaube.
Folglich schafft das Theater mit all seinen charmanten Ritualen eine eigene Welt. Eine Welt die sogleich Beständigkeit als auch Wandel zeigt. Eine Welt, die in ihren eigenen Regeln besteht und welche auch nur dort, fernab von der restlichen Welt, erlebbar sein können. Eine Welt, die den Aberglaube akzeptiert, zu schätzen gelernt hat und ohne diesen auch nicht in seiner Besonderheit existieren würde.
Und vielleicht überkommt einen daher manchmal ein unheimliche Gefühl, wenn man eines betritt. Man empfindet Ehrfurcht vor diesem Ort und auch davor, was dieser Ort bei einem bewirken kann, wenn man sich auf das Geschehen einlässt.
In dieser künstlichen Welt [des Theaters] träumen wir die wirkliche hinweg […]; der Unglückliche weint hier mit fremdem Kummer seinen eigenen aus – der Glückliche wird nüchtern und der Sichere besorgt.
– Friedrich von Schiller
Und wie sehr die Rituale, aufgrund des Aberglaubens, das Leben am Theater im Bezug auf die Requisiten und der Ausstattung strukturieren, möchte ich euch in diesem Beitrag näher bringen.
Vorab noch eine der wichtigsten Vorschriften, die jeder mal gehört haben sollte.
Der richtige Umgang mit Glückwünschen sei gelernt! Ein einfaches „Viel Glück“ führt hier bei dem Betroffenem eher zu Entsetzen als auf Anerkennung. Man meint es zwar nur höflich aber dabei versalzt man dem Schauspieler mal ordentlich den Tag.
Warum? Weil man statt Glück nur Unglück wünscht. Am Theater ist es Brauch, sich sein „Viel Glück“ zu schenken und anstelle dessen sagt man „ TOI TOI TOI“.
Denn früher, im Mittelalter, glaubten die Menschen, dass gute Wünsche den Neid böser Geister wecken würden. Und das solle man beim besten Willen lieber nicht wagen. Daher wählten die Menschen eine etwas andere Redewendung, bzw. einen Ausweg aus dem Schlamassel. Abgeleitet lautet der Spruch nämlich „Teufel, Teufel, Teufel“ .
Durch den Ausruf dreimaliges Anrufen des Teufels kann das Unheil abgewendet werden und das Glück ist auf der eigenen Seite. Und wenn du ein Schauspieler am Theater bist, so hoffe ich, dass du lieber nicht mit Danke, sondern mit einem harmlosen „Hals-und Beinbruchs“ antwortest. Sonst ist das Glück erst mal hin und so heißt es raus und ums Theater laufen. Das Unglück ausschwitzen. Die letzten Worte Pucks aufsagen und schließlich um Einlass zu beten.
Große Beachtung auch den Requisiten! – Ein Requisit ist nicht nur Requisit
Echte Spiegel sind auf der Bühne ein absolutes Tabu. Aus praktischer Sicht nachvollziehbar. Denn es reflektiert das einfallende Licht der Scheinwerfer und stört so bei der Aufführung. Der Aberglaube rührt aber daher, dass die Menschen glaubten, dass der Spiegel ein Spiegelbild der Seele ist, und dass das Zerbrechen für einen Menschen mal eben sieben Jahre lang Pech bedeuten kann. Nicht nur für den Verursacher, sondern für das ganze Theater. Eine weitere mystische Theorie besagt, dass wenn man in den Spiegel sieht und es steht noch eine Person dazwischen, der man über die Schulter und in die Augen sehen kann, wird diese wie vom Blitz mit Unglück getroffen.
Ein weiterer schaurigere Aberglaube ist, dass Baby-Puppen bei falscher Aufbewahrung zu unerwünschte Gästen werden können und zu großem Unheil führen können. In diesen Puppen können nämlich poltergeistähnliche Kreaturen leben, die den Augen entschlüpfen und dann poltergeisttypische Verhaltensweisen im Theater an den Tag legen. Daher, sollten sie unbedingt mit dem Gesicht nach unten gelagert werden. Komisch, als Kind hatte ich auch Angst davor …
Die Ursache, die den Aberglauben hervorbringt, erhält und ernährt, ist die Furcht.
– Baruch de Spinoza
Ein weiteres Verbot, welches auch wirklich einleuchtet, besagt, dass offenes Licht auf der Bühne nichts verloren hat. Da eine zu große Gefahr von einem Brand besteht. Doch die abergläubische Variante zeigt einen etwas anderen Grund auf. Wer sich als nächstes zur kürzesten von drei angezündeten Kerzen auf der Bühne oder in der Umkleide aufhält wird als nächstes von der Ensemble sterben oder heiraten.
Krücken sind Zeichen von Krankheit und Versagen und sind daher verboten, Spazierstöcke, als Zeichen von Gesundheit und Erfolg, dagegen erlaubt.
Ganz wichtig ist auch, dass man die Kostüme nicht vor der Premiere wäscht. Das bringt sonst Unglück. Die Kostüme sind ohnehin eines der wichtigsten Medien für den Schauspieler. Abergläubische Schauspieler tragen am liebsten ihre Originalkostüme auch schon zu Proben.
Und das hat einen einfachen Grund. Da man als Schauspieler indirekt die Realität und die Welt in Frage stellt, sollte man dies nur im Schutz einer Rolle tun. Sodass die Grenze zwischen Privatperson und Figur nicht verschmelzen kann. Das Kostüm macht den Schauspieler zu einem Stellvertreter eines Anderen. Das tragen von Privatklamotten und des eigenen Schmuckes sollte man daher auf der Bühne dringlichst vermeiden, um das Unglück abzuwenden. Verschleißerscheinungen werden dabei gerne in Kauf genommen.
Wenn die Schauspieler komplett kostümiert, geschminkt und somit in voller Blüte sind und nur dann spuckt man sich übrigens zum „Toi toi toi“ dreimal über die Schulter damit die Aufführung Erfolg hat. Unbedingt beachten sollte man dabei die richtige Schulter zu erwischen. Um den Teufel zu erwischen muss man über die linke Schulter spucken, denn auf ihr sitzt der Teufel. Und auf der rechten Schulter sitzt der Schutzengel, den man lieber nicht verjagen solle, sonst bricht das Unglück über den Bespuckten herein. Das wäre bedauerlich. Im Wandel der Zeit behielt das Spucken aus hygienischen Gründen kein Teil des Brauches. Es etablierte als lautmalerische, keimfreie Variante. Das sogenannte „Trockenspucken“ wurde zu einer beliebten Tradition. Eine willkommen Alternative dazu ist das auf Holz klopfen. Zur Not genügt auch der eigene Holzkopf. Den hat man nämlich immer in Reichweite und es funktioniert genauso gut.
Einen fehlenden Knopf des Kostüms darf man unter keinen Umständen am Körper eines Schauspielers annähen, sonst erleidet dieser Seitenstechen. Logisch oder?
Im Zusammenhang dazu gibt es einen weiteren Aberglauben, welcher damals bestimmt für große Ehrfurcht und Obacht gesorgt haben muss. Denn herumliegende Stricknadeln könnten für die Schicksalsgöttin ein gefundenes Mittel gewesen sein,um ihr Unwesen zu treiben. Mit Hilfe der Nadeln könnte sie ein Netz zu produzieren, in dem sich die ganze Produktion verfangen kann. Nett von ihr. Aus praktischer Sicht besteht bei herumliegenden Nadeln Verletzungsgefahr. Bestimmt auch nicht zu missachten.
Und wie dekoriert man eigentlich abergläubisch ?
Besondere Beachtung gilt der Farbwahl. Gelb und Grün sollte man dringlichst vermeiden! Es sind typischen Erkennungsfarben des Teufel in mittelalterlichen Mysterienspielen.
Pfauenfedern werden auch als riskant eingestuft. Denn ihre Augen werden mit dem Bösen Blick in Verbindung gebracht. Sowieso gelten Dekorationen mit Augen bzw. augenförmige Muster als potenziell gefährlich, denn sie provozieren den bösen Blick.
Auch frische Blumen sind als Bühnendekoration nicht erlaubt! Erlaubt ist aber das Tragen von Blumen. Zum Beispiel im Revers, vorzugsweise eine Chrysantheme. Aber Obacht, niemals eine gelbe!
Wer spukt denn da ?
Wer keine Lust hat sich mit den herumtreibenden Geistern im Streit zu befinden, sollte ihnen aus Respekt einen Nacht in der Woche das Theater zur Verfügung stellen. Damit die Theatergespenster ihre Aufführungen veranstalten können. Praktischerweise ist dies meist der Montag, sodass sich die Schauspieler vom Auftritt am Wochenende erholen können. Muss man den Geistern ja nicht erzählen.
Die Legende besagt, dass es einen bestimmten Geist, Thespis, gibt, der den Ruf hat, unerklärliches Unheil zu verursachen. Thespis aus Athen (6. v. Chr.) war der erste Mensch, der als einzelner Schauspieler auf der Bühne sprach.
Der Aberglaube besagt aber auch, dass in einem leeren Theater immer ein Licht brennen sollte, um Geister abzuwehren. An dem Montag diene es aber auch dazu, den Geistern Licht zu geben, sodass sie sehen können. Ohne geht’s nicht. Es wird auch als „Equity Light“ oder „Equity Lamp“ bezeichnet.
Katzen gelten im Theater zudem als Glücksbringer. Früher waren sie wahrscheinlich sehr nützlich um Mäuse fernzuhalten. Also Angst vor schwarzen Katzen braucht man im Theater also nicht zu haben, nur im restlichen Alltag gilt Obacht vor den Viechern. Wundern muss man sich aber dann auch nicht, das Katzen, wenn sie denn Lust haben, gerne auch mal Teil des Stückes sein möchten. Verständlich, sind ja Teil des Teams.
Also halten wir fest: Katzen freundlich sind sie und Geister freundlich sollten sie sein, die Theaterleute.
Auf‘‘s Pfeifen pfeif ‘ ich!
Und das war damals auch besser so. Denn dieser Aberglaube kommt aus der Zeit, als noch Gasleuchter im Theater benutzt wurden. Ein pfeifender Ton wies darauf hin, dass Gas austritt. Das Pfeifen galt daher als ein Warnsignal, welches auf einen Brand hindeutet. Daher konnte es fatale Folgen haben, wenn jemand einfach so pfiff.
Eine weitere Erklärung könnte aber auch sein, dass sich früher die Bühnentechniker per Pfiff und nicht über Worte verständigten. Wenn also nun ein Schauspieler pfiff, konnte er damit die Kommunikation der Arbeiter stören, sodass zum Beispiel plötzlich ein anderes Bühnenbild eingestellt wurde.
Auf beide Missverständnisse wollte man verzichten und untersagte so das Pfeifen.
Zum Schluss noch einen kleinen Fun-Fact zur Generalprobe: Wenn der Vorhang fällt
Als äußerst fragwürdig gilt der Aberglaube, den Vorhang lieber wieder fallen zu lassen, wenn man in den ersten Reihen einen rothaarigen Zuschauer entdeckt. Tja, Grüße gehen raus an alle Rotschöpfe!
UND… Wenn ich eine Schauspielerin am Theater wäre, so wäre ich wahrscheinlich auch abergläubisch.
Ich bin genügend gebildet um nicht abergläubisch zu sein, bin es aber trotzdem.
– Dostojewski
Aus Ehrfurcht vor vielleicht doch existierenden Mächten, die über Glück und Unglück entscheiden. Trotz des Wissens, dass die angebliche Wahrheit der Aberglauben aus wissenschaftlicher Sicht nicht bestätigt wird. Sicher ist nun mal sicher.
Der Aberglaub‘, in dem wir aufgewachsen,
verliert, auch wenn wir ihn erkennen,
darum doch seine Macht nicht über uns.
– Gotthold Ephraim Lessing
Ein ausgewogener Mix aus Aberglaube und Vernunft und ein daraus resultierendes Schmunzeln, mag zwar nicht konsequent sein aber dafür behält man so eine gewissen Leichtigkeit bei.